Die schottische Singer-Songwriterin Amy Macdonald spielt als Hauptact am
Freitagabend bei „Das Fest" in Karlsruhe. Ihre tiefe Stimme rollt über den Platz
und die melodiösen Klänge lassen das Publikum schunkeln. Das Besondere am Fest:
Die Zuschauer stehen auf dem Hang eines Hügels vor der Bühne. Es mag das
einzige Festival sein, bei dem der Sänger seine Fans genauso gut sehen kann,
wie sie ihn. Auch für die umstehenden Menschen bietet der Hügel ein
unglaubliches Bild. 130.000 Menschen bewegen sich zum Rhythmus, während sie
bunt erleuchtet werden. Durch die Erhöhung scheint es, als ob die Menschenmasse
bis zum Horizont reichen würde. Hinter dem Hügel geht sie Sonne unter. Beim
nächsten Lied zücken alle ihre Handys und schalten die Taschenlampen an, ein
paar wenige entzünden sogar ein echtes Feuerzeug. Auf einmal ist es taghell. Tausende
Lichtpunkte flackern über die Fläche. Macdonald widmet den nächsten Song ihrer
verstorbenen Großmutter.
Seit
drei Jahren arbeite ich auf Konzerten und Festivals in ganz
Deutschland. Der Job ist oft sehr anstrengend, aber Momente wie dieser lassen
mich jedes Mal alle Anstrengung vergessen. Dann bin ich einfach nur glücklich,
diesen Augenblick miterleben zu dürfen. Ein Augenblick, in dem tiefe Harmonie auf
gute Laune trifft und als Anlass steht die Musik.
2017
fing ich an einige Eindrücke zu notieren und stellte mir Fragen wie: Warum
schürt es unser Gemeinschaftsgefühl, wenn wir uns mit vielen Menschen zum
gleichen Takt bewegen und warum fühlen wir uns mit Fremden so verbunden, nur
weil wir die gleichen Texte singen? Können wir mit Musik eine andere Art von
Intimität ausdrücken, wie sie im normalen Alltag unangebracht wäre?
Meine
Nachforschungen bestätigten mich in meinen Vermutungen. Musik wirkt auf alle
Ebenen unseres Gehirns ein und hat so direkten Zugang zu unseren Emotionen.
Doch wie macht sie das? Im Grunde genommen ist sie Schwingungsenergie, die über
Frequenzen übertragen wird. Wenn wir Musik hören, wird die Hirnregion unseres
körpereigenen Belohnungssystems mit Dopamin überflutet. Das löst in uns ein
Wohlgefühl aus, das wir sonst nur beim Essen, Drogenkonsum oder Sex erfahren.
Ein Zitat von Richard Wagener beschreibt es nur zu gut:
„Die Musik
ist die Sprache der Leidenschaft“
Es
ist 23 Uhr in einer Juninacht. Macklemore spielt seit einer halben Stunde der „Rock im Park"-Bühne. 60.000 Besucher stehen gedrängt davor. In einer
Pause fordert er alle auf, sich an die Hände zu nehmen und diese dann in die
Luft zu halten. Ich greife mit rechts nach einer Freundin und mit links nach
einer fremden Person. „Wir sind nun eine der längsten Menschenketten der Welt“,
verkündet Macklemore stolz, „und wisst ihr, was das Beste ist? Es kann niemand
sein Handy nehmen und filmen. Dieser Moment gehört nur uns!“ Daraufhin leitet
er in sein Lied „Same Love“ ein, in dem es um Gleichberechtigung, Homophobie
und Nächstenliebe geht.
Musik
hat auf viele Bereiche unseres Lebens großen Einfluss. Ich fand heraus, dass auch
die Wissenschaft die Macht der Musik erkannt hat. Seit einiger Zeit wird sie
genutzt um pädagogische Kommunikationsbarrieren zu überwinden, die psychische
Heilung zu beschleunigen, Depressionen vorzubeugen oder Schmerzen zu
verringern. Neurologen beschäftigen sich jüngst mit der Frage, wie uns Musik so
in den Bann zu ziehen vermag und wie verschiedene Musikgeschmäcker entstehen.
Ruhige Musik hilft uns bei der Konzentration, schnelle Musik treibt uns an. Sie
lässt die Zeit schneller vergehen und beeinflusst unsere Stimmung. Besonders
gut spielt damit die Filmmusik. Durch sie erleben wir Szenen viel intensiver
und können uns besser in die Charaktere hineinversetzen. Außerdem ist es eines
der einfachsten Dinge, an die wir kommen, um uns mit Glück zu erfüllen.
Es
ist der 18. Dezember 2017. Die Max-Schmeling Halle ist bis zur Decke gefüllt.
Laut Veranstalter bietet sie für knapp 12.000 Menschen Platz. Ich sehe sogar
einige Kinder mit Hörschutz. Materia vereint mit seiner Musik und seinen Texten
so viele verschiedene Generationen, wie es nicht viele Rapper schaffen. Der
Boden vibriert, als er die Bühne betritt. Das Publikum rastet aus. Ich schaue
mich um. Außer mir kann bei diesem Konzert jeder mitsingen. Eine Frau um die
40, zwei Reihen vor mir, schreit beim hektischen auf und ab Hüpfen so laut sie
kann. Sie trägt einen grauen Blazer zu Jeans und Converse. Ihre Haare sind zu
einem Pferdeschwanz gebunden, der bei jeder ihrer Bewegungen hin und her
schwingt. Vom Aussehen hätte ich sie nicht als Materia Fan eingeschätzt. Den
jungen Typen in langem Kapuzenpulli und Basecap neben ihr allerdings schon. Sie
stößt mit ihrem Ellenbogen gegen ihn und dreht sich daraufhin entschuldigend zu
ihm. Er lacht sie nur an.
Materias
neues Album benannte er nach Rosewell, einer kleinen Stadt in den USA, in der
1847 ein Ufo abgestürzt sein soll. Mit den Bühnenstrahlern, die die Halle
abwechselnd in grünes und blaues Licht tauchen, wirkt auch die Max-Schmeling
Halle wie ein großes Ufo. Ein Ufo, das die verschiedensten Menschen vereint nur
durch Musik. Es wird ein Raum geschaffen in dem es egal ist, wer du bist oder
woher du kommst. Von dem aus die Welt draußen mit all ihren Problemen und
Kriegen ganz weit weg erscheint. Ein Ufo der guten Laune.
Ein
Lied mit besonders viel Bass erklingt. Wie auf ein magisches Zeichen heben alle
12.000 Menschen einen Arm und bewegen ihn im Takt auf und ab. „Berlin, das sieht
unglaublich aus!", freut sich der Sänger und auch mir läuft ein Schauer
über den Rücken.
So
unterschiedlich diese Musikrichtungen auch sein mögen, eins haben sie alle
gemeinsam: Sie bilden Gemeinschaften. Sie verändert unseren Herzschlag,
Blutdruck und unsere Muskelspannung, lassen unseren Körper verstärkt Hormone
produzieren und berauschen unsere Sinne.
2017
habe ich so viel gearbeitet, wie noch nie, doch egal wo das auch war, es gab
immer Gänsehaut Momente – ob bei Rap, Pop, oder Rock. Egal, ob der Sänger von
Rammstein im Engelskostüm zehn Meter über der Bühne schwebte, hinter James
Blunt auf großem Bildschirm Bilder von Krieg und Zerstörung aufleuchteten, Amy
Macdonald ein Lied der verstorbenen Oma widmete oder Macklemore die längste
Menschenkette der Welt bildete, es sind Bilder, die im Kopf bleiben. Mit dieser
unglaublichen Macht kann Musik Menschen erreichen und verbinden, wie
sonst kaum ein anderes Medium. Es ist aber nicht die Musik allein, sondern vor
allem die Menschen, die ihretwegen aufeinandertreffen. Die nur dadurch vereint
sind, dass sie die gleiche Musik mögen, die gleichen Texte auswendig können und
gleichzeitig ihren Arm im Takt bewegen. Wie der Dirigent Ivan Repusic so schön
sagte:
„Etwas, was
man nicht beschreiben kann, was man nur fühlt – das ist Musik.“
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